Typenhäuser markieren Einstieg in das serielle Bauen

Im Quartier Essen Schürenfeld im Stadtteil Altenessen hat VIVAWEST erstmals selbst entwickelte Typenhäuser gebaut und damit 300 neue Wohnungen geschaffen. Im Interview erläutern VIVAWEST-Mitarbeiter Tilo Butermann, Fachbereichsleiter Operative Steuerung, und Architekt Michel-Raimo Famulicki, Bereich Neubau, wie es dazu kam. 

VIVAWEST: Im Essener Norden hat VIVAWEST erstmals Typenhäuser gebaut und damit neuen Wohnraum geschaffen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Tilo Butermann: Man muss zur Beantwortung der Frage einige Jahre zurückgehen. Mit dem Start von VIVAWEST im Jahr 2012 erhielten wir vom damaligen Bereichsleiter Portfoliomanagement und heutigen Geschäftsführer Haluk Serhat den Auftrag, einen Neubautyp zu entwickeln, mit dem wir in unseren typischen Wohnquartieren einen Impuls für eine nachhaltige Entwicklung anstoßen können. 

Die neuen Wohngebäude sollten kostenoptimiert und hochstandardisiert sein. Die Leitlinie für die Entwicklung war der aus der Automobilindustrie stammende Begriff der ‚Entfeinerung‘. Vorgabe war es, zu Baukosten von max. 1.200 Euro pro Quadratmeter zu bauen; aus heutiger Sicht ein vollkommen unrealistischer Wert. Die Wohnungen sollten dann nach damaligen Maßstäben für maximal acht Euro pro Quadratmeter vermietet werden können.

Michel-Raimo Famulicki: Als wir mit der Planung begonnen haben, haben wir zunächst alle Vorgaben, die bis dahin für Neubauten im Konzern galten, infrage gestellt.

VIVAWEST entwickelt nicht nur innovative Typenhäuser, sondern geht auch in der Kundenkommunikation neue Wege. Mehr erfahren

Wer war alles an der Entwicklung der Typenhäuser beteiligt?
Famulicki: Mit unseren Kollegen aus dem Kundenmanagement sind wir die einzelnen Ausstattungsmerkmale durchgegangen: Worauf können wir verzichten, in welchem Verhältnis stehen Kosteneinsparungen zu Komforteinbußen. Bei den Grundrissen ging es um die Fragen, wie klein die Wohnungen sein dürfen und wie groß sie für die verschiedenen Haushaltstypen sein müssen. Und wie viel kann man ausprobieren, ohne die langfristige Vermietbarkeit zu gefährden?

Mit einem Team von Ingenieuren, Herstellern und Fachfirmen haben wir die einzelnen Bauteile der Gebäude auf Alternativen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Kosten im Lebenszyklus untersucht. Dazu zählten beispielswiese Materialien für den Rohbau, die Dachkonstruktion und die Leitungsführungen im Bereich der Haustechnik. Dabei half auch der Blick ins Ausland.

Entwickelt haben wir daraus zwei Typenhäuser. Ein sogenanntes Punkthaus, das sich durch einen quadratischen Baukörper mit innenliegender Erschließung kennzeichnet, als klassisches Nachverdichtungsgebäude mit barrierefreien Wohnungen und festem Etagengrundriss. Und ein flexibles Modulhaus, bei dem Gebäudelänge und -form sowie gewünschte Wohnungstypen an fast jeden Standort angepasst werden können.

„Wir müssen in der Lage sein, bezahlbaren Neubau für unsere Quartiere zu schaffen. Das ist uns mit den Typenhäusern sehr gut gelungen.“
— Haluk Serhat, Geschäftsführer VIVAWEST

Warum fiel die Wahl für die ersten Häuser auf das Quartier Essen Schürenfeld?
Butermann: Das Quartier Essen Schürenfeld war tatsächlich der erste Anwendungsfall. Der vorhandene Gebäudebestand mit rund 250 Wohnungen aus den 1960er Jahren war in Stahlskelettbauweise errichtet worden, bei denen ein Abriss langfristig unumgänglich war. Auf den Abrissgrundstücken sollten dann nach und nach unsere neuen Typenhäuser entstehen. 

Trotz des schlechten Zustands der Altgebäude waren die Wohnungen nahezu vollvermietet. Wir mussten uns also erst einmal Gedanken darüber machen, wohin unsere Mieter ziehen, wenn wir in einem Bauabschnitt 54 Wohnungen abreißen.

Famulicki: Wir haben sehr frühzeitig Gespräche mit der Stadt Essen geführt, sie über die Abrissnotwendigkeiten informiert und im konstruktiven Austausch die Quartiersentwicklung geplant. Dabei hat uns sehr geholfen, dass wir im nördlichen Teil des Quartiers ein Baufeld für den Neubau unserer Punkthäuser mit 32 Wohnungen nutzen konnten. Sie markierten damit den ersten Bauabschnitt unserer Quartiersentwicklung. In diese konnten die Mieter aus den ersten Abrisshäusern ziehen, die Gebäude fungierten somit als sogenannte Rotationshäuser. Im Jahr 2015 haben wir mit dem Bau begonnen und die ersten Mehrfamilienhäuser ohne Keller im VIVAWEST-Bestand gebaut. 

Butermann: Viele unserer Mieter aus den Abrisshäusern sind in die neuen Wohnungen gezogen. Die übrigen Wohnungen wurden vor allem von älteren Haushalten aus dem direkten Umfeld bezogen. VIVAWEST verfügt zwar in Altenessen über einen Bestand von insgesamt etwa 4.000 Wohnungen, allerdings sind davon nur wenige barrierefrei, so dass die neuen Wohnungen in dieser Zielgruppe sehr begehrt waren.

Famulicki: Der zweite Bauabschnitt wurde auf dem Grundstück der Abrisshäuser mit unseren Modulhäusern als viergeschossige Neubauten mit Laubengangerschließung und zentraler Aufzuganlage realisiert. Für den dritten Bauabschnitt wurden die Modulhäuser mit Blick auf geänderte Anforderungen ein wenig anders zusammengesetzt. Und im vierten Bauabschnitt, der 2023 fertiggestellt wurde, haben wir mit Mitteln der öffentlichen Wohnraumförderung wiederum unsere Punkthäuser gebaut. 

Wie fällt das Fazit der Quartiersentwicklung aus heutiger Sicht aus?
Butermann: Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung. Das Quartier ist einzigartig, weil wir sukzessive und damit aber am Ende eine enorme Anzahl an Neubauwohnungen am Markt platzieren konnten. Dadurch haben wir die Attraktivität des Quartiers deutlich erhöht und gezeigt, dass bezahlbarer Wohnungsneubau in unseren preissensiblen Quartieren möglich ist.

Famulicki: Die umfangreichen Erkenntnisse, die wir mit unseren Typenhäusern im Quartier gewonnen haben, konnten wir mittlerweile auch bei weiteren Projekten anwenden. Natürlich müssen wir unsere Typenhäuser kontinuierlich weiterentwickeln, weil sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern, die Anforderungen an die Energieeffizienz steigen, aber auch weil die Qualitätsanforderungen des Marktes einem stetigen Wandel unterliegen. Die Notwendigkeit, kostensparend zu bauen, wird dagegen auf jeden Fall bleiben.

QUARTIER ESSEN SCHÜRENFELD

  • Im Quartier Essen Schürenfeld bewirtschaftet VIVAWEST rund 500 Wohneinheiten. Mit etwa 10.000 Wohnungen zählt die Stadt Essen zu den größten Standorten von VIVAWEST.
  • Seit 2015 wurden im Quartier circa 250 Wohneinheiten in Stahlskelettbauweise aus den 1960er Jahren abgerissen und durch den Neubau von rund 300 Wohneinheiten ersetzt.
  • Der Einsatz von selbst entwickelten Typenhäusern markierte für VIVAWEST den Einstieg in das kostensparende, serielle Bauen.
  • Im 2024 fertiggestellten vierten Bauabschnitt wurden 32 öffentlich geförderte Wohneinheiten errichtet.
  • Voraussichtlich bis 2027 wird die Quartiersentwicklungsmaßnahme mit den beiden letzten Bauabschnitten abgeschlossen.

Fotos: Privat (6), Dirk Bannert, Henning Ross  | Illustration: Tobias Wandres / Die Illustratoren | Rendering: HHVISION GmbH & Co. KG